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Datum: 29.11.2022

Bericht zum Vortrag: Eine andere jüdische Weltgeschichte

Eine andere jüdische Weltgeschichte

Zahlreiche Zuhörer konnte der Erste Vorsitzende, Bernd Morlock, im Albert-Schweitzer-Saal begrüßen, nahezu so viele wie vor der Pandemie. Und auch Frau Reil vom Amt für Schulen und Kultur freute sich und überbrachte die Grüße des Landrats Dr. Christoph Schnaudigel.

Der heutige Staat Israel sei die Antwort auf mehr als 2000 Jahre jüdische Geschichte – und auf mehr als 2000 Jahre Antisemitismus. Der Referent Prof. Dr. Wolffsohn beleuchtete die Geschichte anders als gewohnt. „Eine andere jüdische Weltgeschichte“ lautete der Titel des Vortrages und seines vor Kurzem erschienenen Buches.

Der ägyptische König Echnaton, Ehemann der berühmten Nofretete, sei nach Meinung des Historikers der Erfinder des Monotheismus, ursprünglich des Echnaton-Kultes. Während der Kult in Ägypten schnell wieder verschwand, wurde er in Teilen vom Judentum übernommen.

Die zweite Wurzel für die Entwicklung des Judentums sei Mesopotamien, das Zweistromland. Das Judentum sei unzweifelhaft eine Mischkultur, das Ergebnis eines intensiven kulturellen Austausches mit den damaligen Weltmächten Ägypten im Westen und Mesopotamien im Osten. Solange die beiden Mächte auf dem Höhepunkt ihrer Macht waren, blieb den Juden nur die Möglichkeit, sich ins Bergland Galiläas zurückzuziehen. Die Küstenebene des Mittelmeeres war „besetzt“, und ständig zogen fremde Truppen durch mit den unangenehmen Folgen von Raub, Mord und Zerstörung.

Es dauerte bis in die 1000er Jahre, bis die verstreuten jüdischen Siedlungen im Bergland zusammenwuchsen. Das Reich des Königs David, das davidisch-salomonische Reich, erstreckte sich von den Höhen Galiläas bis zur Küste des Mittelmeeres und wurde durch das entstandene Machtvakuum im zwischen den ehemaligen Weltmächten möglich. Doch die Hoch-Zeit endete schnell, und die kriegerischen Auseinandersetzungen nahmen wieder zu.

Die Geschichte des Judentums sei eine Geschichte der Verfolgungen. Und diese Verfolgungen und Traumata manifestierten sich auch in der Genetik, wie Medizingenetiker und Archäogenetiker gemeinsam feststellten. Und es existieren lokalisierbare, vorderorientalische Gemeinsamkeiten mit den arabischen Nachbarn. Viele Verbindungen zwischen Juden und Nichtjuden gab es auch in schlimmen Zeiten. Als Beispiel führte Prof. Wolffsohn die Zeit der Inquisition in Spanien an.

In vielen Städten und Herrschaftsbereichen lebten die Juden unter dem Schutz der Landesherren. Der Schutz endete, wenn die Herrschaft endete oder die Juden nicht mehr gebraucht wurden: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen“. Und die jüdisch-christliche Auseinandersetzung wird von der theologischen zur machtpolitischen Auseinandersetzung, gleiches gilt für die jüdisch-muslimischen Beziehungen. Den Höhepunkt erreichte sie mit den Progromen in Russland nach der Ermordung von Zar Alexander II.

Mit dem immer schwächer werdenden Osmanischen Reich, dem „kranken Mann am Bosporus“ entstand erneut ein Machtvakuum im Nahen Osten, dass Siedler ab 1882 nutzen. Der Zionismus von Theodor Herzl war geboren, und neue fortschrittliche Siedler kamen und nahmen die Traditionen des vorderen Orient auf.

Heute müssten die Juden nicht mehr um das Dasein, um Siedlungsraum, um Lebensraum „betteln“. Der moderne Staat Israel sei Garant für die Existenz eines jüdischen Staates und für das Judentum. Allerdings sei es eine Existenz auf Widerruf. Mit dem Mullah-Regime im Iran und anderen feindlichen Nachbarn stelle sich durchaus die Frage, wie lange der Staat Israel noch leben könne. Und doch, so Prof. Wolffsohn wird der Iran, auch wenn er innenpolitisch stabil wäre, nicht in der Lage sein, Israel zu vernichten.

Viele „Pass-Juden“ verließen und verlassen zwar Israel, ein großes „innerjüdisches“ Problem, aber viele Juden kämen auch ins Land. Seit 2000 beispielsweise ganze 20% der französischen Juden. Der Grund ist die Zunahme antijüdischer Gewalt in Westeuropa, auch in Deutschland. Umfragen hätten allerdings ergeben, dass als größte Gefahr die radikal-muslimische Bevölkerung gesehen werde. Es folgten linksextremistische Strömungen und an dritter Stelle die Rechtsextremisten.

Das jüdische Leben in Deutschland sei schwieriger geworden, auch weil die Demokratie in Deutschland geschwächt, gar schwach wurde. Die „wehrhafte Demokratie“ gäbe es nicht mehr. „Ich bin pessimistisch für die Juden in Deutschland!“ betonte Prof. Wolffsohn abschließend. Und obwohl die Freundschaft mit Israel zur deutschen Staatsraison gehöre, sei Israel ein unangenehmer Partner. Für Israel sei beispielsweise Gewalt ein legitimes Mittel der Politik, für Deutschland und Westeuropa sei das undenkbar. „Eigentlich können wir gar nicht zusammenkommen“, so der Referent. „Vielleicht ändere der Ukraine-Krieg etwas“.

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