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Datum: 07.10.2024

Armin Laschet zu Gast beim Deutsch-Israelischen Freundeskreis

Die Abraham Accords - eine Zeitenwende im Nahen Osten?

Armin Laschet©Hanspeter Gaal © Hanspeter Gaal

Vorsitzender Bernd Morlock begrüßte die über 100 Gäste und insbesondere den Referenten des Abends, Ministerpräsidenten a.D. Armin Laschet MdB. Ebenso hieß der Erste Landesbeamte Knut Bühler alle herzlich willkommen. 

Er berichtete vom aktuellen Beschuss Israels durch den Iran und von der Situation der Partnerregion Sha‘ar HaNegev. Noch immer sind zwei Kibbuzim nah des Gazastreifens geräumt. Bis zum 7. Oktober 2023 glaubte man sich in Sicherheit, jetzt hat Sorge um sich gegriffen. Und alle hoffen auf ein baldiges Ende der Kampfhandlungen und auf die Freilassung der verbliebenen Geiseln. Armin Laschet stellte zunächst die Frage: Wird es eine weiter eskalierende Gewaltspirale geben? Gibt es Hoffnung? Sind die Abraham-Abkommen stabil?

Im Nahen Osten vollzog sich vor dem 7. Oktober ein fundamentaler Wandel in den Beziehungen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, für viele fast unbemerkt. Für über 60 Jahre verweigerte ein großer Teil der arabischen Welt die Anerkennung des Staates Israel und die Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen.

Das Jahr 2020 markierte einen Wendepunkt als vier arabische Staaten – Bahrain, Marokko, die Vereinigten Arabischen Emirate und der Sudan – gemeinsam mit Israel die Abraham Accords unterzeichnen ein Abkommen zur umfassenden Normalisierung der Beziehungen und zur Kooperation in Politik, Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft.

Der Normalisierungsprozess ging weit über reine Sicherheitsinteressen hinaus. Seit 2020 hat eine Vielzahl von hochrangigen Staatsbesuchen stattgefunden und wurde eine Vielzahl von zwischenstaatlichen Abkommen geschlossen. Die Vertragsstaaten bekräftigen auf allen Feldern ihr erklärtes Ziel in einem wahren Frieden einen Schwerpunkt auf eine intensive wirtschaftliche und technische Kooperation hinzuwirken.

Insbesondere in den großen Zukunftsthemen des Kampfes gegen den Klimawandel, die Dekarbonisierung der Volkswirtschaften und die Technologiekooperationen insbesondere im Energiesektor beruht der Abraham Prozess auf der Erkenntnis, dass sie nur gemeinsam gemeistert werden können. Die Vertragsstaaten fördern das Zusammenkommen von jungen zukunftsorientierten Menschen in den Bereichen Mobilität, IT, Gesundheit und Energietransition. Gemeinsam sollen Ideen entwickelt und innovative Lösungsansätze für die gemeinsamen Herausforderungen gefunden werden. 

Damit sind die Abraham Accords eine echte Chance auf Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn und für eine stabile und prosperierende Zukunft, so Armin Laschet.

Seit dem 7. Oktober zeige sich der Antisemitismus wieder deutlich, in vier Formen, als Antisemitismus von rechts bereits seit den 60er Jahren, als Antisemitismus von Links gegen die reichen und kapitalistischen Juden, als Antisemitismus arabisch stämmiger Migranten und schließlich als akademischer Antisemitismus in den Universitäten und Hochschulen.

Stellungnahmen und Aktionen gegen Israel und seine Politik seien legitim, Aktionen und Gewalt gegen Juden, nur weil sie Juden sind und ggf. eine Kippa tragen, seien Antisemitismus in reinster Form. Und zunehmend wird Israel als das letzte Relikt der Kolonialmächte gesehen: Israel besetzt fremdes, arabisches Land! „Vom Fluss bis zum Meer!“ lautet der Slogan, „Freiheit für Palästina vom Jordan bis zur Küste des Mittelmeeres“ oder „Alle Juden ins Meer treiben!“.

Hierzu erläuterte der Referent zunächst die Entstehungsgeschichte des jüdischen Staates. Und da sei zunächst Theodor Herzl zu nennen, der die Idee des Zionismus begründete: die Juden, die in vielen Teilen der Welt verfolgt und unterdrückt würden, bräuchten einen eigenen Staat, eine eigene Heimstatt, in der sie ungestört leben könnten.

Im großen Osmanischen Reich lebten vor dem Ersten Weltkrieg Juden, Muslime und christliche Araber mehr oder weniger friedlich zusammen. Doch Großbritannien suchte im Kampf gegen die Achsenmächte des 1. Weltkriegs, zu denen auch das Osmanische Reich gehörte, Mitstreiter und versprach allen, den Juden, den Arabern und den Kurden einen eigenen Staat.

Nach dem Ende des Krieges wurde das Osmanische Reich auf die heutige Türkei unter Kemal Atatürk reduziert. Ein kurdischer Staat wurde nicht geschaffen, und es gibt ihn bis heute nicht. Es entstanden viele arabische Staaten, die Grenzen wurden zum Teil mit dem Lineal auf dem Reißbrett gezogen. Das Gebiet „Palästina“ klammerte man aus. Es wurde ein Mandatsgebiet des Völkerbundes errichtet, Großbritannien fungierte als Schutzmacht.

Von 1933 bis 1945 während der Shoah flüchteten viele Juden aus Europa nach Palästina und wanderten illegal ein. Das Gebiet sollte auf Vorschlag der UNO, die dem Völkerbund nachfolgte, irgendwann in einen jüdischen und einen arabischen Staat geteilt werden. Und nach dem zweiten Weltkrieg, im Jahr 1948 rief für ihn folgerichtig David Ben Gurion den jüdischen Staat Israel aus.

Alle benachbarten arabischen Staaten griffen zu den Waffen. Im sogenannten Unabhängigkeitskrieg siegte Israel und vergrößerte sogar das von der UNO vorgesehene Staatsgebiet. Es besetzte die bisher syrischen Golanhöhen, den ägyptischen Gaza-Streifen und die jordanische Westbank. Es folgten der Sechs-Tage-Krieg, der Jom Kippur-Krieg und andere bewaffnete Auseinandersetzungen. Israel besetzte den Sinai.

Den Umschwung brachten Menachem Begin und Anwar As-Sadat. Begin, ehemals Vertreter des Revisionistischen Zionismus und Chef einer Terrororganisation, begab sich in die Politik und gründete den Likud. Der ägyptische Staatspräsident kam nach Jerusalem und sprach in der Knesseth. In einem Friedensvertrag gab Israel den Sinai zurück an Ägypten, und Ägypten erkannte Israel als Staat an. Die Leitlinie lautete: Land gegen Frieden! Mit Jordanien gelang dies ebenso.

Nach dem überraschenden Rücktritt Begins während des ersten Libanonkrieges setzten Shimon Perez und Jitzchak Rabin den Friedensprozess fort. Im Jahr 2005 zog sich Israel komplett aus dem Gaza-Streifen zurück: „Gaza hätte ohne die Hamas zu einem Hongkong des Nahen Ostens werden können“, so Armin Laschet.

Im September 2020 wurden schließlich die Abraham Accords abgeschlossen, in der Tat eine Riesenüberraschung! Vier arabische Staaten, Bahrain, Marokko, der Sudan und die Vereinigten Arabischen Emirate nahmen mit Israel diplomatische Beziehungen auf und vereinbarten eine umfassende Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet. Eine Freihandelszone sollte geschaffen werden.

Einige arabische Staaten lehnten das Angebot zur Zusammenarbeit mit Israel ab. Zuerst müsste ein Palästinenserstaat etabliert werden.

Anlässlich des Staatsbesuches des israelischen Präsidenten Isaac Herzog im September 2022 wurde auf Initiative von Armin Laschet das »Abraham Accords Institute for Peace and Regional Integration« gegründet. Eine Eröffnungsfeier mit israelischen und arabischen Botschaftern sei im Moment unmöglich. Saudi-Arabien war kurz davor beizutreten. Auch dies ist im Moment unmöglich. Es bliebe die Hoffnung, dass die Abraham Accords ein ermutigendes und hoffnungsvolles Zeichen seien und dass nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen die Friedensinitiative erfolgreich fortgeführt werden könnte.

Die Friedensinitiative wird derzeit von der EU nicht unterstützt, bedauerte Armin Laschet. Die EU spreche mit mehreren Stimmen, den Stimmen Von der Leyens, Borrells und anderer. Und auch die Bundesrepublik mit Annalena Baerbock gebe aktuell kein gutes Bild ab. Der Angriff auf die Hisbollah-Zentrale in Nasrallah und die vom Iran finanzierte Terrororganisation würde lediglich mit der Bemerkung kommentiert, der Libanon dürfe nicht stabilisiert werden.

Die einzige wirkliche Unterstützung kommt derzeit aus den USA, auch schon zu Zeiten der Republikaner und des Präsidenten Donald Trump. Doch: Wer löst nach dem Krieg die Hamas ab? Wie wird sich die Palästinenserbehörde weiterentwickeln. Und schließlich stelle sich die Frage: Wie reagiert Teheran? Mit einer „kleinen Antwort“ oder mit einem massiven Schlag?

Hoffnung würde sicher bestehen, aber erst nach den, hoffentlich nicht zu lange, dauernden kriegerischen Auseinandersetzungen. Und die Hoffnungen seien berechtigt: Inzwischen gäbe es sowohl im britischen als auch im französischen Parlament eine Abraham Accord-Gruppe, obwohl sowohl Großbritannien als auch Frankreich nicht unbedingt zu den Freunden Israels gehören.

Bei der Weltausstellung in Dubai gab es viele Pavillons aus aller Herren Länder und überraschenderweise auch einen Faith Pavillon, einen Glaubens-Pavillon auf der Basis des Talmud, der Bibel und des Koran.

Und er erinnerte auf Nachfrage an die deutsch-französische Aussöhnung nach jahrzehntelanger Erbfeindschaft, nach zwei Weltkriegen mit Millionen von Toten. Warum nicht auch zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten? Alle Staaten haben die gleiche abrahamische Tradition.

Staatsziel der Hamas sei zwar die Vernichtung Israels. Doch: Steht die Bevölkerung dahinter? Das Land liege in Schutt und Asche. Wird die Bevölkerung den Frieden mit den Juden suchen oder noch radikaler werden? Es brauche politische Führer, die bereit sind, etwas zu riskieren und dafür Verantwortung zu übernehmen, Führer, die die Autorität haben, ein Land zu überzeugen und zu führen! Netanjahu hätte vermutlich die Chance und die Möglichkeit, sagte Armin Laschet, so wie sich einige seiner Vorgänger radikal änderten. „Ich erkenne aber keinen Ansatz bei Benjamin Netanjahu.“

 Das Abraham Accords Institut setzt sich für die Vision einer nachbarschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage von Koexistenz und Dialog ein. Dafür ist es grundlegend das gegenseitige Existenzrecht zuzugestehen und sich mit dem fundamentalen nationalen Selbstverständnis des jeweiligen Gegenübers auseinander zu setzten.Es setzt sich dafür ein, dass in people-to-people Projekten in Kultur, Politik und Wirtschaft Vorurteile abgebaut und persönliche Kontakte aufgebaut werden. Dabei handelt das Abraham Accords Institute in der Überzeugung, dass Deutschland und Europa einen besonderen Beitrag zum Gelingen des Abraham Prozesses leisten können. Deutschland pflegt enge Beziehungen sowohl zu Israel als auch den arabischen Staaten und genießt in der Region ein hohes Ansehen und einen Vertrauensvorschuss. Somit könnte Deutschland eine wichtige Mittlerrolle einnehmen, auch aus der besonderen historischen Verpflichtung heraus, sich für die Sicherheit Israels einzusetzen.

Das Abraham Accord Institut konzentriert sich auf vier Handlungsfelder:

Multiplikationsarbeit im politischen und zivilgesellschaftlichen Raum durch inklusive Dialoginitiativen.

Kooperationsprojekte in den Bereichen politischer Bildung, ein inklusiver Zugang zur Erinnerungskultur bezüglich des Holocaust, Kunstprojekte und Sport.

Förderung technischer und wirtschaftlicher Kooperationen, zur gemeinsamen Bewältigung dringender technologischer Herausforderungen für Deutschland und die Vertragsstaaten der Abraham Accords, insbesondere im Thema der Wasserstoff-wirtschaft.

Förderung der wissenschaftlichen Begleitung des Abraham Prozesses an der RWTH Aachen und beim Exzellenz-Cluster Versöhnungsforschung der Rheinischen-Friedrich- Wilhelmsuniversität Bonn und weiteren Universitäten in Bayern und Baden-Württemberg.

Der Deutsch-Israelische Freundeskreis konnte zu einem informativen und spannen-den Vortragsabend mit einem kompetenten und souveränen Armin Laschet einladen, der zu gegebener Zeit eine Fortsetzung finden könnte.

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